2023
Das Ziel bleibt,
Selbstbestimmung zu erhalten
Norbert Krammer über das Erwachsenenschutzgesetz

ein Beitrag von Norbert Krammer, VertretungsNetz
Mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verpflichteten sich alle Vertragsstaaten die Rechte aller Menschen und in besonderem jene von Menschen mit Behinderungen abzusichern und ihre Durchsetzung zu fördern. Österreich hat die Konvention 2008 ratifiziert und sich entsprechend verpflichtet, auch wenn die Umsetzung in einfache Gesetze bis heute weitgehend fehlt und durch Österreichs Erfüllungsvorbehalt zur Konvention auch weitgehend sanktionslos bleibt.Internationale Verträge sind trotzdem immer ein Anstoß für Weiterentwicklung und Motor für Korrekturen von Fehlentwicklungen. Auch das im Frühjahr 2017 im Parlament beschlossene 2. Erwachsenenschutzgesetz (ErwSchG) steht in dieser Tradition und brachte wichtige Verbesserungen der rechtlichen Gleichstellung für Menschen mit Beeinträchtigungen, obgleich sie durch Hürden und fehlende Unterstützung an der gleichberechtigten Teilhabe immer noch behindert werden.
Erwachsenenschutzgesetz im Zeichen der UN-BRK
Das Erwachsenenschutzgesetz löste nicht nur das alte Sachwalterrecht ab, sondern brach in den Zielbestimmungen auch mit der Tradition des medizinischen Modells von Behinderung. Nun steht nicht mehr die Diagnose einer Behinderung oder psychischen Erkrankung im Vordergrund, sondern die Frage, ob bei einem konkreten Rechtsgeschäft die Entscheidungsfähigkeit vorliegt – oder nicht doch noch durch Unterstützung in ausreichendem Umfang hergestellt werden kann. Nicht aufgehoben wurde die Verantwortung der Gesellschaft für schutzberechtigte Personen – also beispielsweise für minderjährige Personen, aber auch für Menschen, die „aus einem anderen Grund“ ihre Angelegenheiten nicht ohne Nachteil selbst besorgen können und daher Unterstützung benötigen. Eine Stellvertreterentscheidung wiederum ist der UN-BRK ebenfalls fremd. Somit wurde im ErwSchG sehr deutlich die Selbstbestimmung durch Unterstützung hervorgehoben. Ein anspruchsvolles Konzept, dass mit vielen bisher im Alltag eingeübten Praktiken nicht übereinstimmt und auch im fünften Jahr der Geltung des neuen Gesetzes noch immer für Irritationen sorgt.
Möglichst viel Selbstbestimmung bei Vertretung
Das Erwachsenenschutzgesetz unterstreicht sowohl in den Grundsätzen, als auch bei einzelnen Bestimmungen die selbstbestimmte Entscheidung. Ziel bleibt es, dass im rechtlichen Verkehr Entscheidungen möglichst selbstständig, erforderlichenfalls mit der nötigen Unterstützung, getroffen werden. So wird dies in § 239 ABGB festgelegt und sollte immer wieder nachgelesen werden. Ziel der Unterstützung muss es sein, dass die Angelegenheiten dadurch von Betroffenen selbst besorgt werden können. Es ist gefordert, dass – wie leider oft – dem Menschen mit geminderter Entscheidungsfähigkeit die Möglichkeit einer eigenen Entscheidung aus der Hand genommen und Stellvertretung begünstigt wird. Da dies ein schwieriger Prozess ist, hat sich das gesetzlich vorgesehene Instrument der Unterstützungskreise sehr bewährt und führt zu sehr guten Entscheidungen im Sinn aller Beteiligten.
Es verwundert nicht, dass im ErwSchG ausdrücklich ein Nachrang für Stellvertretung normiert wurde. Wenn durch Unterstützung die selbstbestimmte Entscheidungsfähigkeit nicht gewährleistet werden kann, ist eine Vertretung im Rechtsverkehr durch eine andere Person nur dann möglich, wenn dies von der vertretenen Person selbst festgelegt wird oder die Vertretung zur Wahrung der Rechte und Interessen unvermeidlich ist. Diese sehr hohe Schwelle für stellvertretende Entscheidungen wird oft durch fürsorgliche Überlegungen konterkariert bzw. nicht immer beachtet.
Überprüfung oder Ablauf der Vertretungsgültigkeit
Die gerichtliche Erwachsenenvertretung ist auf drei Jahre begrenzt und muss, wenn die Vertretung weiter unvermeidlich ist, neuerlich im Gerichtsverfahren geprüft werden. Der Umfang der Vertretung und die*der Erwachsenenvertreter*in werden mittels Beschluss festgelegt. Grundsätzlich geht der Gesetzgeber davon aus, dass die gerichtliche Erwachsenenvertretung nicht auf Dauer und nie im ständig gleichen Umfang unvermeidlich ist. Die Erneuerungsverfahren müssen in diesem Sinn unbedingt geschärft werden, da viele Angehörige und insbesondere viele Institutionen das Erneuerungsverfahren mit einer Verlängerung verwechseln.
Es braucht noch viel Überzeugungsarbeit, damit eine stellvertretende Entscheidung nur dann zum Einsatz kommt, wenn sie unvermeidlich ist, abhängig von der vorliegenden situationsspezifischen und aktuellen Gefährdung.
Wenn der Wirkungsbereich einer Erwachsenenvertretung eine Angelegenheit umfasst, die erledigt oder nicht mehr nötig ist, dann ist die Einschränkung durch das Gericht vorgesehen. Oft stellen beispielsweise Mitarbeiter*innen von Betreuungseinrichtungen erstaunt die Frage, ob dieser „bürokratische Aufwand“ den wirklich erforderlich sei? Ja, das ist notwendig, denn die Vertretung einer anderen Person kann nur im Umfang aktuell notwendiger und genau bezeichneter (und damit reduzierter) Angelegenheiten erfolgen. So genau nimmt dies das ErwSchG in Anlehnung an die von der UN-BRK abgeleiteten Rechte von Menschen mit geminderter Entscheidungsfähigkeit.
Wenn die Anpassungen nicht ohnehin automatisch vom Gericht eingeleitet oder vollzogen werden, kann dies auch mit einem Antrag angestoßen werden.
Noch wichtiger: Selbstbestimmung trotz Vertretung
Im ABGB wird Paragraph 241 mit „Selbstbestimmung trotz Stellvertretung“ übertitelt: Noch deutlicher geht es fast nicht! Demnach ist danach zu trachten, dass die vertretene Person ihre Lebensverhältnisse ihren Wünschen und Vorstellungen entsprechend gestalten kann. Aber auch bei anderen Entscheidungen gilt eine Wunschermittlungspflicht, der dann die Umsetzung folgen muss, sofern nicht das Wohl erheblich gefährdet wäre. Kein Recht auf Durchsetzung der Wünsche, aber ein sehr klares Zeichen und ein gesetzlicher Auftrag, Bedürfnisse ernsthaft zu prüfen.
Ergänzt wird diese Grundhaltung durch die Verpflichtung, dass der vertretenden Person jedenfalls die zur Bestreitung von Alltagsgeschäften benötigten Barmittel zur Verfügung stehen müssen – also ein eigenes Konto oder ein Zugang zum Konto der*des Erwachsenenvertreter*in. Da bei den meisten Erwachsenenvertretungen auch die Verwaltung des Einkommens oder Teile des Einkommens mit umfasst sind, ist dieses Selbstbestimmungsrecht bei der eigenen Verwaltung von Barmitteln besonders bedeutsam. Und unterstreicht die Ernsthaftigkeit der Bemühung für Selbstbestimmung von Menschen mit geminderter Entscheidungsfähigkeit.

Umsetzung muss geübt werden
Den völligen Wandel von Stellvertretungs-Entscheidungen im Sachwalterrecht – und der weitverbreitenden Praxis – zu der neuen differenzierten Haltung im Erwachsenenschutzgesetz, müssen alle Beteiligten üben. Für die Erwachsenenvertreter*innen bedeutet es, immer darauf zu achten, ob nicht doch eine Entscheidungsfähigkeit vorliegt und daher keine Stellvertreterentscheidung notwendig und damit auch nicht möglich ist. Auch wenn die konkrete Angelegenheit vom Wirkungsbereich umfasst ist und im Regelfall mit einem Nachteil gerechnet werden muss, wenn die Entscheidung durch die vertretene Person getroffen worden wäre.
Ein einfaches Beispiel aus der Praxis veranschaulicht den Prozess: Jochen B. hatte seit Jahren eine Sachwalterin, die sein Einkommen verwaltete und ihm bei der Bewältigung der Handikaps aufgrund der intellektuellen Beeinträchtigung unterstützte. So lief auch die Anschaffung von benötigter Kleidung immer nach dem Muster ab: Jochen B. wollte beispielsweise eine neue Winterjacke oder der Wunsch wurde von den Betreuer*innen der Werkstätte angestoßen. Die Sachwalterin wurde verständigt und sie gab ihr OK, da genügend Barmittel für die Anschaffung vorhanden waren. Beim konkreten Einkauf im Bekleidungsgeschäft wurde Herr B. von Betreuer*innen unterstützt und begleitet. Die Rechnung wurde bezahlt und dann an die Sachwalterin übermittelt, die diese Summe refundierte. So oder so ähnlich war dies auch für andere vertretene Personen eingeübte Praxis. Was auf den ersten Blick als hilfreiche Unterstützung gesehen werden kann, wird im Einzelfall zur Bevormundung. Mit dem Erwachsenenschutzgesetz wurde nun ein Alltagskonto eingerichtet, auf dem immer genügend Barmittel für kleine Einkäufe vorhanden sind. Eine größere Anschaffung wird aber noch immer abgesprochen. Und wenn die schicke Jacke mehr Mittel benötigt? Das Geld ist noch immer vorhanden und die Verwaltung der Einkünfte – die im Beschluss näher und aktuell bezeichnet werden – bleibt bei der gerichtlichen Erwachsenenvertreterin. Wer trifft die Entscheidung über den Kauf? Es ist Jochen B., der die Entscheidung trifft und daher kann die Erwachsenenvertreterin getrost den Betrag übergeben oder (aufgerundet) auf das Alltagskonto überweisen. Was und wie angeschafft wird, darüber kann Herr B. selbst entscheiden.
Dieses einfache Beispiel über die Anschaffung eines etwas teureren Kleidungsstückes, das vielleicht nicht mehr von allen als Alltagsgeschäft im Rahmen der verfügbaren Mittel (Taschengeld der Werkstätte und Taschengeld aus der Pensionsleistung) bezeichnet werden würde, soll den vorhandenen, größeren Spielraum zugunsten von selbstbestimmten Entscheidungen unterstreichen und Angehörige, Erwachsenenvertreter*innen und Betreuungspersonal zu menschenrechtsorientierten Entscheidungen und Unterstützungen ermutigen.
Fürsorgliche Einschränkung statt Selbstbestimmung – ein Negativbeispiel
Erst kürzlich beobachtete ich die Diskussion über die Frage, ob eine vertretene Person einen von ihr angeschafften kleinen Hund behalten kann oder das Rechtsgeschäft rückabgewickelt werden soll, da die Rechnung nicht bezahlt wurde und Folgekosten – realistischer Weise – befürchtet wurden. Der Idee einer Rückabwicklung, die fast reflexartig aufkam, muss grundsätzlich widersprochen werden, auch wenn die Erwachsenenvertreterin, die für die Einkommensverwaltung vom Gericht bestellt wurde, dem Kauf nicht zugestimmt hat. Vielmehr ist ein ganzes Fragenbündel zu klären, bevor in die Selbstbestimmung eingegriffen werden darf: Ist die vertretene Person in Hinblick auf den Kauf des Haustieres entscheidungsfähig? Auch die Folgen sind abzuschätzen, also beispielsweise: Kann sich die Besitzerin um das Tier ausreichend und gut kümmern? (Darf der Hund im Wohnbereich sein, gibt es genügend und gute Aufsicht). Da das Gericht die Einkommensverwaltung (nicht sehr differenziert und damit möglicherweise überschießend umfassend) als Wirkungsbereich der Erwachsenenvertreterin definierte, wurde im Vorfeld geprüft und festgestellt, dass die vertretene Person dies nicht ohne Gefahr eines realen Nachteils erledigen würde. Aber trotzdem muss für das einzelne Rechtsgeschäft geprüft werden, ob dies auch hier zutrifft und die Einschränkung gerechtfertigt ist. Dabei ist auch der Umfang des Rechtsgeschäfts – beim Beispiel des Hundekaufs vermutlich nicht sehr umfangreich – zu berücksichtigen und sind die laufenden Kosten im Verhältnis der ohnehin immer möglichen Alltagsgeschäfte einzuordnen. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte des Erwachsenenschutzgesetzes überwiegen die Argumente für eine selbstbestimmte Entscheidung der vertretenen Person. So soll es sein.
Die Entscheidung durch Stellvertreter*innen darf nur erfolgen, wenn dies unvermeidlich ist – im Hinblick auf den Wirkungsbereich – und die Entscheidungsfähigkeit bezogen auf das konkrete Rechtsgeschäft fehlt, wenn dies nicht ohnehin im Rahmen eines Alltagsgeschäftes - bei Fehlen einer Gefährdung - liegt.
Alltagskonten fehlen oft noch
Als besonders zäh erweist sich die nötige Veränderung beim Zugang zu eigenen Bankkonten für Menschen mit geminderter Entscheidungsfähigkeit.
Im Konsenspapier Banken des Justizministeriums, das nicht nur auf der BMJ-Website abrufbar ist, sondern auch bei den Erwachsenenschutzvereinen, wird auf das Alltagskonto detailliert hingewiesen. Es handelt sich dabei um ein eigenes Zahlungsverkehrskonto, das auf den Namen der vertretenen Person lautet und über das die Person daher selbst und selbstbestimmt verfügen kann. Es kann auch eine Bankomatkarte ausgestellt und die Selbstbestimmung damit unterstützt werden. Leider sind viele Bankinstitute hier noch zurückhaltend, aber auch private Erwachsenenvertreter*innen haben noch nicht genügend Vertrauen gefunden. Selbst der eingeschränkte Zugriff auf das eigene Konto, das von dem*der Erwachsenenvertreter*in verwaltet wird, stellt eine Ausnahme dar, oft auch aufgrund von Bedenken der Banken. Da aktuell ohnehin eine Evaluierung des Erwachsenenschutzgesetzes läuft, könnte hier eine neue, praktikablere Lösung mit den Banken erarbeitet und legistisch umgesetzt werden.
Das kleinteilige Verwalten von Einkommensteilen – oft noch als „Taschengeld“ bezeichnet und auch wie bei Minderjährigen gehandhabt – sollte rasch der Vergangenheit angehören. Nur im extremen Ausnahmefall kann die Einschränkung tatsächlich zielführend sein. Jedenfalls sollten dann eine gerichtliche Genehmigung und ein Genehmigungsvorbehalt vorliegen.

Erwachsenensozialarbeit der Kommunen rasch ausbauen
Menschen mit Behinderungen und mit geminderter Entscheidungsfähigkeit benötigen meist gute Unterstützung, um ein selbstbestimmtes Leben in der erforderlichen Lebensqualität zu führen. Ambulante Dienste, die umfangreiche Unterstützung leisten und bei der Zielerreichung kräftig unterstützen, sind eine Möglichkeit. Noch mehr kann die Unterstützung zur Selbstbestimmung im Sinn der UN-BRK durch Persönliche Assistenz erreicht werden. Hier gibt es eine sehr große Lücke, die nun in einem Projekt des Sozialministeriums mit den Ländern teilweise geschlossen werden soll. Begonnen wird der Ausbau der Persönlichen Assistenz in den drei westlichen Bundesländern Vorarlberg, Tirol und Salzburg. Der Bund will die Leistungen vereinheitlichen und für alle Menschen mit Behinderungen anbieten. Menschen mit Lernbehinderungen sind ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Für drei Jahre rechnet der Bund mit einem Förderungsbedarf von hundert Millionen Euro.
Die Bundesländer bleiben gefordert, um – zusätzlich zur Persönlichen Assistenz – Sozialarbeit als Unterstützung zur selbstbestimmten Lebensführung aufzubauen und anzubieten. Denn die Verpflichtung, geeignete Maßnahmen gemäß UN_BRK zur Unterstützung anzubieten, gilt ausdrücklich auch für Länder und Gemeinden.
Was bräuchte es?
- Ausbau der Sozialarbeit in allen stationären Senioreneinrichtungen (viele überflüssige Erwachsenenvertretungen könnten so vermieden werden);
- Ein lückenloses Angebot Betreuter Konten in allen Landesteilen, die auch für Menschen mit geminderter Entscheidungsfähigkeit erreichbar werden müssen;
- Einen massiven Ausbau Freiwilliger Einkommensverwaltung, wie dies der Verein Lichtpunkt in Kapfenberg, Steiermark, sehr erfolgreich und ambitioniert vormacht;
- Eine professionelle Assistenz zur Unterstützung bei der Finanzverwaltung;
- und nicht zuletzt niederschwellige Angebote, wie ein Begleitdienst zu Behörden gemeinsam mit Peerberatungen.
Und immer wieder: keine vorschnellen Anregungen von Vertretungen
In zwei Lebenssituationen kommt es immer wieder zu gehäuften Anregungen von Verfahren zur Bestellung von Erwachsenenvertretungen: im Kontext medizinischer Behandlungen und im Zuge der Übersiedlung an einen anderen Wohnort.
Wir erleben sehr häufig die Situation, dass bei Menschen mit Beeinträchtigungen, in hohem Alter oder mit umfassendem Pflege- und Behandlungsbedarf aus unserer Sicht vorschnell nach einer Stellvertretungsentscheidung gerufen wird. Noch schneller ertönt der Ruf, wenn eine Person bereits durch eine*n Erwachsenenvertreter*in – wenn auch nur für die Verwaltung der Liegenschaft o.ä. – vertreten wird. Da wird die Entscheidung über medizinische Behandlungen gleich mitgedacht.
Im konkreten Einzelfall stellt sich oftmals heraus, dass es ein gutes Unterstützungsnetz gibt, die vermutete Entscheidungsunfähigkeit eher an der Hektik der Aufklärungssituation oder der Komplexität der Sache begründet liegt. Im Alltag eines Krankenhauses ist es sicher nicht leicht, die nötige und gesetzlich geforderte Ruhe für eine der Lebenssituation entsprechende Aufklärung – in geeigneter Weise, fordert der Gesetzgeber – aufzubringen. Da muss noch nachgeschärft werden. Eine im Erwachsenschutzgesetz bereits vorgesehene Maßnahme zur Verbesserung der Entscheidungsfähigkeit – und zum Herausnehmen unnötiger Geschwindigkeit, da es für eine Notfallbehandlung ohnehin genügend Sonderregelungen gibt – stellt das erforderliche Einberufen eines Unterstützungskreises dar. Wenn die behandelnde Ärztin feststellt, dass die Entscheidungsfähigkeit nicht im erforderlichen Umfang vorliegt, muss trotzdem eine einfache medizinische Aufklärung erfolgen, also in leicht verständlicher Sprache ohne Verwendung von Fachvokabeln und in einer ruhigen Umgebung. Und sollte dies nicht reichen, ist ein Unterstützungskreis bestehend aus kundigen Personen und aus vertrauten Menschen zu bilden, die der Patient*in durch geeignete Informationen – auch mit Hilfsmitteln, wie Zeichnungen und Modellen - dabei helfen, die Frage der Behandlung zu erfassen und eine Entscheidung selbst zu bilden. Kommen die Personen des Unterstützungskreises zur Übereinkunft, dass dies nun erfolgreich und selbstbestimmt klappt, gilt die Einwilligung der Person mit geminderter Entscheidungsfähigkeit. Es ist keine Stellvertretung notwendig. Die genaue Dokumentation dieses ganzes Prozesses ist natürlich unerlässlich. Zu dem genauen Ablauf gibt es – auch bei den Erwachsenenschutzvereinen – genaue Informationen und Schaubilder. Unsere Erfahrung zeigt, dass durch diese qualifizierte unterstützende Aufklärung über die Behandlung überdurchschnittlich oft eine Stellvertretung vermieden wird und die Behandlung leichter akzeptiert wird.
Ein zweiter, kritischer Bereich ist die Übersiedlung an einen anderen Wohnort. Besonders bei der Übersiedlung in eine stationäre Einrichtung wird oftmals nach einer Entscheidung durch einen gesetzlichen Vertreter gerufen. Dies beginnt bereits bei der Anmeldung für ein Seniorenwohnhaus. Oft stellt die Verwaltung vorab und nur anhand der ärztlichen Befunde die Entscheidungsfähigkeit in Frage. Und damit ist der nächste Schritt, eine Erwachsenenvertretung, nicht mehr weit. Auch wenn später ein genauer Clearing-Prozess zum Ergebnis kommt, dass diese gar nicht erforderlich ist. Trotzdem wird beispielsweise von der Landespflegeklinik der Tirol Kliniken bereits im Aufnahmeformular verlangt, dass schon Angaben über eine Erwachsenenvertretung erfolgen oder eine Anregung bei VertretungsNetz eingeleitet wird. Noch konkreter wird dies im Beratungsgespräch formuliert, wenn eine Erwachsenenvertretung als Bedingung für eine Aufnahme genannt wird. Auch wenn dies nicht korrekt ist und im Einzelfall der Überprüfung im Zuge des Bestellungsverfahrens nicht standhält, wird so die Zielrichtung des Erwachsenenschutzgesetzes unterlaufen. Diese Erwachsenenvertretung würde die Verwaltung erleichtern – aber um den Preis, dass Selbstbestimmung verhindert und der Wille des*der Betroffenen nicht berücksichtigt wird.
Das Erwachsenenschutzgesetz ist nun seit knapp fünf Jahren in Kraft. Und viele neue Regelungen sind noch nicht im Alltag der Menschen angekommen. Da bedarf es weiterer Anstrengungen, damit das ambitionierte Ziel der Selbstbestimmung und der gleichen Rechte für alle Menschen erreicht wird.
Dieser Beitrag ist im aktuellen Rundbrief (September/Oktober 2023) erschienen.