Demokratie ist kein Geschenk

von Elisabeth Rosenmayr, Vorstand afz - autonomes Frauenzentrum

Seit 113 Jahren treten Frauen am 8. März für gleiche Rechte, gesellschaftliche Teilhabe und Geschlechterdemokratie ein. Sie fordern auch, dass Privilegien abgegeben werden.

Geheime Pläne rechtsextremer Personen zum Ausschluss von Millionen Menschen aus Europa, Exklusion und Vertreibung, rassistische, antisemitische und sexistische Hetze,  Cancel Culture mittels Kanzleiordnung… und die  Empörung vieler Demokrat*innen ist groß. Zurecht. Wer an den Grundfesten der Demokratie rüttelt, muss mit der Empörung der demokratisch Gesinnten konfrontiert werden. Dass diese Gesinnung mehr ist als Stimmung oder Gefühl, manifestiert sich im staatlichen Recht und den rechtmäßigen Strukturen – im „System“ würden die Feinde der demokratischen Rechtsordnung sagen. Dass die Empörung mehr ist als Sentiment, muss sich in entschlossenem politischen Handeln zeigen.

Was ist zu tun?

„Jetzt muss sich zeigen, ob die wehrhafte Demokratie nur so heißt oder ob sie es wirklich ist“, schreibt Herbert Prantl in der Süddeutschen Zeitung und er fährt fort: „Demokratie ist ja vielmehr als ein Abstimmungssystem, sie ist ein Wertesystem“, das nicht ein für allemal etabliert ist. Eine gute Zukunft der demokratischen Gesellschaft „kommt nicht einfach, es gibt nur eine Zukunft, die sich jeden Augenblick formt, je nachdem, welchen Weg eine Gesellschaft wählt, welche Entscheidungen die Menschen treffen, welche Richtung die Gesellschaft einschlägt“.      
Welchen Weg wählt die Gesellschaft, in der wir hier in Österreich, in Oberösterreich leben? Wofür engagieren sich Menschen, welche Themen behandeln sie, welche Diskurse führen sie? Wer kommt zu Wort? Wer kann sich an Entscheidungen beteiligen, wer wird ernstgenommen und wer wird ignoriert?

Partizipation ist ein Geben und Nehmen

Eine starke Demokratie basiert auf der Partizipation, dem Geben und Nehmen gleichberechtigter Individuen und wird in allen Lebensbereichen und Verhältnissen wirksam. Die Stärke der Demokratie als Wertesystem zeigt sich in ihrer Motivationskraft, in ihrer Formationskraft und Haltbarkeit.

Am 8. dieses Monats, dem 8. März, dem Internationalen Frauentag fordern Frauen seit 113 Jahren gleiche Rechte, gesellschaftliche Teilhabe, Geschlechterdemokratie. Sie demonstrieren gegen sexistische Diskriminierungen, gegen strukturelle und individuelle Gewalt, gegen patriarchale Ignoranz. Sie fordern, dass Männer ihre Vormachtstellung und Privilegien aufgeben.
An der Macht, an der Gestaltung des Zusammenlebens müssen alle Menschen – Frauen,  Intersex-, Trans- und nicht binäre Personen, Männer – gleichermaßen teil-nehmen können.  Das heißt, Männer müssen Macht teilen, sie müssen teil-geben. Sie müssen die Privilegien, die ihnen in einer patriarchalen Gesellschaft qua Geschlecht zugeteilt werden, aufgeben.  

Langsam, langsam müht sich die Umverteilung voran.

Langsam: zwei Schritte voraus und einer zurück entwickelt sich die Demokratisierung der Verhältnisse zwischen den Geschlechtern.
„Alle große politische Aktion besteht in dem Aussprechen was ist und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen was ist“ (Ferdinand Lassalle). Dass nicht nur Kleingeisterei, sondern ebenso der Wille zur Macht und die Angst vor Machtverlust die Entwicklung der Geschlechterdemokratie zumindest behindern, wissen Nicht-Männer und interessierte Männer ganz genau.

„Die Männer sind aufgefordert zu Selbstbesinnung und Machtverzicht … 

Doch welcher Machthaber hat je freiwillig auf seine Macht verzichtet? Auch ich fordere den Machtverzicht der Patriarchen, empfehle aber dringend, diesem Verzicht durch wohlgewählte Druckmomente nachzuhelfen.“ Und dementsprechend empfiehlt der Rechtswissenschaftler Nikolaus Benke weiter, „auf der rechtlich-institutionellen Ebene zu arbeiten: einerseits im rechtspolitischen, die Gesetzgebung gestaltenden Bereich und andererseits auf der Schiene des Vollzugs.“ Auch wenn damit nicht schlagartig Gesinnung(en) geändert würden, so würden doch krasse Ungleichbehandlungen abgestellt oder verhindert und ein gesellschaftspolitischer Diskurs etabliert werden.

Dass es mehr als 30 Jahre nachdem Benke diese „Überlegungen zum Thema Revision der Männlichkeit“ angestellt hat, noch immer und immer wieder notwendig ist, über  männliche Privilegien, über Machtanspruch und Gewaltausübung, über Ignoranz und alltägliche Ungleichbehandlung der Geschlechter zu reden und zu schreiben, ärgert und ermüdet die Feministin.

Der mit erhobener Stimme von Frauen- und Integrationsministerin Susanne Raab kürzlich vorgetragene Lobpreis auf die heimische Gesellschaft, in der sich alle gleicher Rechten und Chancen erfreuen, ist angesichts der Daten über Gender Pay Gap, über die unterschiedliche Verwendung von Zeit, über Gewalttaten an Frauen, über Care Arbeit und politische Beteiligung verwunderlich. Eine aktuelle Umfrage des Market-Instituts für den STANDARD zeigt nämlich: Beinahe jede zweite Frau meint, dass Frauen gänzlich oder überwiegend ungerecht behandelt werden.1 Und auf dieser Basis wollen Raab und die ÖVP eine österreichische Leitkultur definieren und etablieren, mit „grundlegenden Regeln unseres Zusammenlebens“ (Raab)? Kleingeisterei besteht im Bemänteln dessen was ist.
Polemisch sage ich: Wenn es jetzt an der Zeit ist, entschlossen und wirksam für ein demokratisches Zusammenleben einzutreten, dann müssen die Privilegienritter von ihrem hohen Ross steigen und sich mit dem bescheiden, was für alle gleichermaßen und gemeinsam da ist. Es gibt keine Demokratie, die diesen Namen verdient, ohne eine Demokratie der Geschlechter.

Rundbrief 2 24

Dieser Artikel ist in der Rundbrief-Ausgabe März/April 2024 erschienen.

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