2023
Persönliche Assistenz -
neue Richtlinie
Wohin führt der Weg?

Das Sozialministerium hat im März die neue „Richtlinie für die Gewährung von Förderungen nach § 33 des Bundesbehindertengesetzes zur Harmonisierung der Persönlichen Assistenz“ vorgestellt. Viele Interessensverbände und betroffene Einrichtungen begrüßen diese neue Richtlinie, aus Oberösterreich kommen allerdings auch kritische Stimmen. Die Sozialplattform hat Günther Breitfuß, Persönliche Assistenz GmbH, Alfred Prantl, IVMB, und Sozial-Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer um eine Einordnung gebeten.
Von politischer Seite kommt neben Wien auch aus Oberösterreich heftige Kritik zum neuen Fördermodell. Beide Bundesländer haben wesentlich vielfältigere Angebote als andere Bundesländer und sehen diese nun in Gefahr. Bei einem bundeseinheitlichen Modell hätten bereits bestehende und gut funktionierende Ländermodelle integriert werden sollen. Für eine Förderung nach der neuen Richtlinie ist eine Festanstellung für das Assistenzpersonal vorgesehen. In Oberösterreich wird die Persönliche Assistenz dienstrechtlich seit mehreren Jahrzehnten überwiegend über den freien Dienstvertrag abgewickelt. Soziallandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer betont, dass sich das Land Oberösterreich mehrfach auf fachlicher wie politischer Ebene kritisch zum aktuellen Entwurf geäußert hat. Im Mittelpunkt standen dabei die Vertretung der Anliegen der Mitarbeiter*innen sowie der betroffenen Organisationen. Leider wurden diese Argumente im Sozialministerium nicht gehört, entgegen ursprünglicher Zusicherungen gab es keine Gespräche über die Vereinheitlichung. „Oberösterreich hat sehr gute Erfahrungen in der Persönlichen Assistenz. Wir sind daher enttäuscht, dass im Sozialministerium unsere Anliegen und die der zahlreichen, verlässlichen Mitarbeiter*innen in Oberösterreich nicht gehört werden. Wir erwarten uns rasche Gespräche mit dem Gesundheitsminister, um die bestehenden und gutfunktionierenden Systeme zu berücksichtigen,“ meint Sozial-Landesrat Hattmannsdorfer. Gemeinsam mit den zuständigen Landesräten aus Wien und der Steiermark hat der oö. Sozial-Landesrat auch einen offenen Brief an Sozialminister Johannes Rauch gesendet.
Persönliche Assistenz unterscheidet sich von mobilen Hilfsdiensten

DSA Günther Breitfuß, MAS, Geschäftsführer Persönliche Assistenz GmbH
Sozialminister Johannes Rauch stellt ein Budget für 100 Mio. Euro für 2023-2024 zur Harmonisierung der Persönlichen Assistenz in Österreich zur Verfügung. Vorarlberg, Tirol und Salzburg waren zunächst für eine Pilotphase vorgesehen, nun stehen die Mittel für alle Bundesländer offen. Grundsätzlich ist erfreulich, wenn Persönliche Assistenz gefördert und eine Angleichung zwischen den Bundesländern angestrebt wird. Aber so?
Persönliche Assistenz unterscheidet sich wesentlich von mobilen Hilfsdiensten durch definierte Selbstbestimmungsrechte für Menschen mit Beeinträchtigung, die in Oberösterreich Auftraggeber*innen genannt werden. Diese Rechte sind z.B. in Oö. ChG § 7 Abs. 17a in der Begriffsbestimmung für Persönliche Assistenz definiert: Menschen mit Beeinträchtigungen haben die Kompetenz der Wahl der Persönlichen Assistentinnen oder Persönlichen Assistenten, der Einteilung der Dienste, der Anleitung der Persönlichen Assistentinnen und Persönlichen Assistenten und die Bestimmung des Ortes, an dem die Leistung erbracht wird.
Diese Kompetenzen sind bei uns zudem vertraglich zwischen Persönlicher Assistenz GmbH und Auftraggeber*in geregelt. Damit wird dem Anspruch eines selbstbestimmten bzw. eigenverantwortlichen Lebens entsprochen. Die praktische Umsetzung wird durch freie Dienstverträge nach dem ASVG mit voller sozialer Absicherung ermöglicht. Damit verfügt das Assistenzpersonal inhaltlich und zeitlich frei über sich selbst. Auf dieser Basis können Auftraggeber*in und Persönliche*r Assistent*in selbstbestimmt, ohne Einmischung des Sozialdienstleisters festlegen, welche Assistenzleistung, auf welche Art, wann und wo vereinbart wird. Vorausgesetzt, beide entscheiden sich wiederum persönlich, dieses Assistenzverhältnis einzugehen.
Selbstbestimmung im Mittelpunkt
Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist es in Oberösterreich für die Persönliche Assistenz im Trägermodell für den Privatbereich gelungen, diese Selbstbestimmungsrechte abzusichern und die Arbeitsbedingen des Assistenzpersonals entsprechend attraktiv zu machen, um eventuelle Nachteile des freien Dienstvertrages zu kompensieren.
Nun ist die Richtlinie des Bundesministers da, die vor allem zwei bemerkenswerte Aspekte mit weitreichenden Auswirkungen hat. Zunächst fällt auf, dass in der Definition von Persönlicher Assistenz nur etwas von angeleitetem Handeln steht. Die Selbstbestimmungsrechte, welche dieser Dienstleistung zugrunde gelegt sind, werden gänzlich ausgeklammert.
Das begründet sich vermutlich darin, weil eine weitere Vorgabe festlegt, dass das Assistenzpersonal ausnahmslos fest angestellt werden muss. Dieses Setting ist mit den Selbstbestimmungsrechten wenig kompatibel. Damit werden die Persönlichen Assistent*innen in die betriebliche Hierarchie eingegliedert und unterliegen den arbeitsrechtlichen bzw. kollektivvertraglichen Bestimmungen. Bestimmen und Verantworten muss der Dienstgeber. Je nach Arbeitszeitmodell bedeutet das: Dienstplanung über Wochen im Voraus, Kontrolle über Einsatzleitungen, Auslastungsbestreben gegenüber dem Personal, also Zuweisung an Auftraggeber*innen bei zu geringer Auslastung und somit Wegfall der Personenbezogenheit, Ausrichtung des Lebens der Assistenznehmer*innen nach arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen bzw. Einschränkung spontaner Lebensgestaltung usw. Es entsteht ein erheblicher Verwaltungs- und Organisationsaufwand mit vorhersehbaren Komplikationen, die arbeitsrechtlich kaum sauber lösbar sind. Zudem wird das Angebot erheblich teurer bei gleichzeitiger Herabsetzung der Effizienz.
Unserer Ansicht nach, beschreiben die Richtlinien eine Variante eines mobilen Hilfsdienstes, haben aber mit Persönlicher Assistenz im eigentlichen Sinn wenig zu tun. Von manchen werden sie als Meilenstein gefeiert, wir haben eher den Eindruck eines Etikettenschwindels. Es wird argumentiert, dass es in Österreich Anbieter von Persönlicher Assistenz mit fest angestelltem Personal gibt. Aber hinschauen, was dort möglich ist, wie das umgesetzt wird und was eben nicht möglich ist, mag man nicht.
Unterstützt von unserem Kostenträger, dem Sozialressort des Landes Oberösterreich war es möglich, attraktive Arbeitsbedingungen für das Assistenzpersonal zu schaffen: Freie Dienstverträge nach ASVG sind betreffend der Sozialversicherung längst Angestelltenverhältnissen weitgehend gleichgestellt. Im Honorar werden Urlaub, 13./14. Gehalt und bezahlte Feiertage berücksichtigt, sodass das Entgelt pro Stunde rund die Hälfte über dem Stundentarif lt. SWÖ-KV liegt, Zuschläge in der Nacht/Sonn- und Feiertag, bezahlte Wegzeiten, KM-Geld, Fortbildung, Supervision und begleitende Unterstützung – und am wichtigsten für systematische Selbstbestimmung, die Freiheit inhaltlich und zeitlich über sich selbst zu verfügen.
Mehrheit der Persönlichen Assistent*innen bevorzugt freien Dienstvertrag
Auf dogmatische Weise vertritt Sozialminister Rauch die Ansicht, dass freie Dienstverträge prekär und ausbeutungsorientiert sind und Anstellungsverhältnisse grundsätzlich attraktiver sind. Anlassbezogen haben wir in der Persönlichen Assistenz GmbH bei unseren aktuell 332 Mitarbeiter*innen eine Umfrage gemacht, wer bei einer zwingenden Festanstellung weiterhin den Job ausüben möchte. 81 % erklärten, unter diesen Bedingungen nicht weiter für die Assistenzarbeit bereit zu sein. Sicher ein Statement, aber sollten es in der konkreten Situation zwei Drittel oder die Hälfte des Assistenzpersonals sein, das uns verlässt, hätten wir ein personelles Desaster, das wir weder lösen noch verantworten könnten.
Wir können damit zwar widerlegen, dass freie Dienstverträge ausbeutend sein müssen, sondern durchaus wertschätzend und attraktiv gestaltet werden können. Das wird uns aber nichts helfen, solange Bundesminister Rauch auf gegenteiliger Meinung beharrt.
Warum das oberösterreichische Erfolgsmodell erhalten bleiben soll und bundesweit als Vorbild dienen könnte

Alfred Prantl, IVMB - Vereinigung der Interessenvertretungen der Menschen mit Beeinträchtigungen in Oberösterreich
Es ist grundsätzlich erfreulich und zu begrüßen, wenn im Regierungsprogramm festgeschriebene Ziele der Bundesregierung zur Verbesserung der Lebenssituation, der Selbstbestimmung und Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen zur Umsetzung gelangen. Und selbstverständlich ist es für betroffene Menschen, die bislang keinen Zugang zu Persönlicher Assistenz haben eine sehr positive Entwicklung und ein großer Fortschritt in ein selbstbestimmtes Leben, wenn in Zukunft eine solche Unterstützungsleistung bundesweit zur Verfügung stehen wird.
Warum man jedoch in der Bundesregierung glaubt, das Rad neu erfinden zu müssen, sprich ein neues System einführen und bundesweit ausrollen zu wollen, ist aus unserer Sicht nicht schlüssig. Schließlich gibt es in mehreren Bundesländern - und nicht zuletzt auch in Oberösterreich – teilweise seit zwei Jahrzehnten, ein funktionierendes System Persönlicher Assistenz, bei dem seitens des Bundes jedoch augenscheinlich keinerlei Anleihe genommen oder Expertise nachgefragt wurde.
Maßgebliche Aspekte fehlen
Der derzeit vorliegenden Richtlinie zur Umsetzung der bundesweit einheitlichen Persönlichen Assistenz fehlen leider einige maßgebliche Aspekte, die als Erfolgsfaktoren der Persönlichen Assistenz in Oberösterreich gelten:
- Assistenznehmer*innen und Assistent*innen kommen persönlich überein, einen Assistenzvertrag zu schließen, in dem der zeitliche Umfang, die zeitliche Einteilung, die zu erbringenden Unterstützungsleistungen und der Ort, an dem die Assistenzleistung erbracht werden soll, vereinbart werden.
- Je nach Modell werden alle oder mehrere dieser Punkte des Assistenzvertrages nur zwischen den beiden Parteien geschlossen.
- Die Flexibilität dieser Vereinbarungen wird zum Großteil auf Basis von freien Dienstverträgen erreicht, da den Vereinbarungen kaum arbeitsrechtliche Hürden im Weg stehen, was von beiden Vertragsparteien, bei fairer und verlässlicher Planung der Assistenz, als sehr positiv empfunden wird.
- So entstehen nämlich kaum Assistenzlücken und die Assistenz kann flexibel und lebensnah, den Bedürfnissen sowohl von Assistenznehmer*innen als auch Assistent*innen vereinbart werden.
Durch die Umsetzung der Persönlichen Assistenz nach der Richtline des Bundes ist die Zerschlagung des bewährten Systems in Oberösterreich zu befürchten, das dann durch ein schwerfälliges Träger*innen-System ersetzt werden wird, in dem Assistenznehmer*innen und Assistent*innen ihrer selbstbestimmten, flexiblen Lebensführung beraubt werden.
Laut einer Umfrage des Hauptanbieters Persönlicher Assistenz in Oberösterreich, der Persönlichen Assistenz GmbH, ist zu befürchten, dass über 80 % der derzeit tätigen Assistent*innen bei einer Umstellung auf ein fixes Dienstverhältnis ihre Tätigkeit beenden würden. (siehe Seite 5). Dies zum größten Teil deswegen, weil sie nicht mehr selbst bestimmen können, wie viele Stunden sie arbeiten (was für viele einen erheblichen Verdienstentgang bedeuten würde), wann sie arbeiten (weil sie vom Arbeitgeber zu verschiedenen Assistenzen eingeteilt werden können, wodurch sie ihren Arbeitsalltag kaum noch auf ihre privaten Bedürfnisse abstimmen können) und auch nicht wo / bei wem sie Assistent*innen sind, da auch dies im Bedarfsfall vom Arbeitgeber bestimmt werden könnte.
Außerdem ist abzusehen, dass das bundesweit einheitliche System einen höheren Verwaltungsaufwand mit sich bringt und zur Einhaltung aller arbeitsrechtlichen Bestimmungen auch erheblich mehr Assistent*innen beschäftigt werden müssen. Beides wird sich in steigenden Kosten niederschlagen.
Aus all diesen Gründen ist das laut Richtline des Bundes vorliegende Assistenzmodell weder im Sinne der beteiligten Assistenznehmer*innen noch der Assistent*innen. Es kann auf Grund des erhöhten administrativen und finanziellen Aufwandes, auch nicht im Sinne des Bundes sein. Und ganz sicher ist es nicht im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention, die ein höchstmögliches Maß an Selbstbestimmung und Inklusion für Menschen mit Beeinträchtigungen vorsieht.
Dieser Artikel ist im Rundbrief 3/23 (Mai/Juni) erschienen.