19 Dez
2022

Sozialhilfe-Novelle:
Chance vertan

Josef Pürmayr analysiert neue Sozialhilfe

Am 7. Dezember hat der Oö. Landtag die Novelle der Oö. Sozialhilfe beschlossen. Diese Novellierung war aufgrund von Änderungen im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (SHGG) erforderlich, die verpflichtend in die Sozialhilfegesetze der Bundesländer integriert werden müssen. Ein Beitrag von Josef Pürmayr

Verbesserungen

Dazu zählt die Abschaffung der Anrechnung des Pflegegeldes und anderer pflegebezogener Geldleistungen auf die Sozialhilfeleistung von pflegenden Angehörigen und die Klarstellung, dass Bundesleistungen für krisenbedingte Sonder- und Mehrbedarfe nicht mehr angerechnet werden. Das wird Vorteile für die davon betroffenen Sozialhilfe-Bezieher*innen bringen.

Neben diesen Vorgaben schafft das SHGG auch Freiräume zur Verbesserung von Sozialhilfeleistungen, welche die Bundesländer wahrnehmen können, aber nicht müssen. Von diesen Möglichkeiten wurden in Oberösterreich einige umgesetzt, aber leider nicht alle.

Positiv ist, dass der Begriff der Haushaltsgemeinschaften neu definiert wurde, sodass die Bewohner*innen in sozialpädagogisch betreuten Wohneinrichtungen bei Sozialhilfebezug den höheren Alleinstehendenrichtsatz erhalten – und nicht mehr den geringeren Mitbewohner*innenrichtsatz. Diese Änderung entspricht einer jahrelangen Forderung der Sozialplattform OÖ und wir von uns ausdrücklich begrüßt. Ebenfalls vorteilhaft ist, dass für den Zuverdienst von Menschen mit Beeinträchtigungen, welchen diese im Zuge einer fähigkeitsorientierten Aktivität erhalten, ein Freibetrag festgelegt wird, der nicht mehr als Einkommen auf die Sozialhilfe angerechnet werden wird.

Nicht umgesetzt!

Wir hätten uns mehr gewünscht, und mehr wäre auch erforderlich gewesen.

  • Leider betrifft die Änderung beim Zuverdienst (Freibetrag) nur den Bereich des Oö. Chancengleichheitsgesetzes. Wir haben angeregt, eine ähnliche Regelung auch für sozialpädagogisch betreute tagesstrukturierende Beschäftigung in anderen Bereichen anzuwenden - beispielsweise im Bereich der Wohnungslosenhilfe. Das wurde leider nicht umgesetzt, der Zuverdienst aus diesen Beschäftigungen wird weiterhin zur Gänze von der Sozialhilfe abgezogen.
  • Das SHGG würde ermöglichen, dass die Sonderzahlungen aus Erwerbstätigkeit bzw. Pensionsbezug bei Sozialhilfe-Aufstocker*innen zusätzlich zur Sozialhilfe ausbezahlt werden. Angesichts der Teuerung wäre das ein wesentlicher Beitrag zur Existenzsicherung. Das Land Oberösterreich hat von dieser Möglichkeit leider nicht Gebrauch gemacht.
  • Die Sozialhilfe-Kinderrichtsätze sind in OÖ aktuell mit die niedrigsten aller Bundesländer. Erforderlich wäre eine Erhöhung der Sozialhilfe-Kinderrichtsätze auf mindestens 25 % je Kind. Etwa ein Drittel der Sozialhilfebeziehenden sind Kinder. Es ist besonders wichtig, soziale Mobilität zu ermöglichen, damit sie das Sozialhilfemilieu ihrer Herkunftsfamilie verlassen können – wichtig nicht nur für sie, sondern die Gesellschaft insgesamt. Sie sollen befähigt werden, aus eigener Kraft ihre Existenz zu sichern und  in Zukunft zur Wertschöpfung beizutragen und nicht weiter von staatlichen Sozialunterstützungsleistungen abhängig bleiben.
  • Normierung eines Rechtsanspruchs auf erforderliche zusätzliche Sachleistungen, denn die im SHGG vorgesehenen zusätzlichen Sachleistungen werden in der oö. Praxis nur sehr eingeschränkt bzw. nicht gewährt.
  • Beschäftigungsantrittsbonus: Das SHGG lässt in § 7 Abs. 6 einen anrechnungsfreien Freibetrag von bis zu 35% des erzielten monatlichen Nettoeinkommens zu. Das Land Oberösterreich deckelt diesen Freibetrag in § 15 Abs. 4 Oö. SOHAG jedoch im Ausmaß von höchstens 20% des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinerziehende. Wir erachten eine solche Deckelung als zu rigoros und empfehlen deren Aufhebung. Dies würde einerseits zur existenziellen Absicherung betroffener Personen wesentlich beitragen und andererseits einen größeren Anreiz zur Beschäftigungsaufnahme schaffen.

Ermahnungspflicht und Wohnbeihilfe

Als besonders kritisch sehen wir den Entfall der Ermahnungspflicht der Behörde vor einer Leistungskürzung. Bisher musste bei behördlich festgestellter mangelnder Bemühung zur Arbeitsmarktintegration ermahnt, aber zusätzlich dazu auch über die Pflichtverletzung und die Rechtsfolgen informiert werden. Viele der in diesem Zusammenhang als Pflichtverletzung eingestuften Unterlassungen etc. beruhen auf Missverständnissen, die im Zuge einer Ermahnungspflicht geklärt werden können. Die Verpflichtung, die Wohnbeihilfe zu beantragen bei gleichzeitiger Gewissheit, dass diese von der Sozialhilfe sofort wieder abgezogen wird, versteht auch der Oö. Landesrechnungshof nicht. Er hat im Prüfbericht zur Oö. Wohnbeihilfe bemängelt, dass die Wohnbeihilfe als Einkommen für die Bemessung der Sozialhilfe zählt und dass damit zwei Unterstützungsleistungen des Landes Oö. gegeneinander aufgerechnet werden. Eine Sanierung ist überfällig.

Sozialhilfe als letztes Soziales Netz: Ausbaubedarf und Löcher stopfen!

Die Anzahl der unterstützten Personen und die Ausgaben für die Sozialhilfe in Oberösterreich haben sich im Vergleich mit den Vorjahren stetig und kräftig reduziert.

Laut Mindestsicherungs- und Sozialhilfestatistik 2021 des Sozialministeriums

  • hat es eine kräftige Reduzierung bei der Anzahl der unterstützen Personen zwischen 2017 und 2021 gegeben (österreichweit - 20 %, Oberösterreich - 46 %).
  • war von 2017 auf 2021 in Oberösterreich ein eklatanter Rückgang der Gesamtausgaben für Sozialhilfe/Mindestsicherung zu verzeichnen (- 34 % = - € 16,2 Mio.); österreichweit sind in diesem Zeitraum die Gesamtausgaben um nur 1 % (= - € 17,5 Mio.) gesunken.
  • betrug im Jahr 2021 die durchschnittliche monatliche Leistungshöhe in Oberösterreich pro Bedarfsgemeinschaft € 573 bzw. pro Person € 325. Das sind die geringsten Leistungshöhen aller Bundesländer.

Diese Verringerungen bei Personen und Ausgaben in Oberösterreich haben nicht vorrangig die Ursache, dass es der Zielgruppe der (potenziellen) Sozialhilfebezieher*innen im Jahr 2021 ökonomisch besser gegangen wäre. Vielmehr liegt die Ursache in den veränderten Bedingungen der seit 2020 eingeführten Sozialhilfe (eingeschränkter Kreis der Bezugsberechtigten, geringere Sozialhilfe, damit weniger Sozialhilfebezieher*innen mit geringer Leistungshöhe). Schon im Jahr 2020 sind die Sozialhilfebeziehenden mit den Sozialhilfeleistungen kaum über die Runden gekommen.

Beginnend mit März 2020 sind die Menschen globalen Krisen unterworfen, die sie nicht beeinflussen können. Solche Krisen haben die Wirkung, dass sie vulnerable und sozial benachteiligte Gruppen besonders betreffen. Die Covid-Krise hat seit März 2020 im Ökonomischen, Gesundheitlichen und Sozialen überaus negative Auswirkungen auf die Lebensumstände von Sozialhilfebezieher*innen verursacht. Zusätzlich äußerst belastend bis existenziell ruinös wirkt die hohe Inflation, insbesondere die Teuerung bei der Befriedigung der Grundbedürfnisse. Bedeutend ist, dass für Sozialhilfebeziehende nicht die allgemeine Teuerung nach dem Verbraucherpreisindex ausschlaggebend ist, sondern die Preisentwicklung des Mini-Warenkorbs, der Güter und Dienstleistungen des wöchentlichen Bedarfs enthält. Dieser steigt deutlich höher als die allgemeine Preisentwicklung nach VPI.

Chance vergeben

Tatsache ist, dass bei allen Änderungen, wenn auch teilweise Verbesserungen im Oö. SOHAG, die aktuellen Preisentwicklungen bei weitem nicht adressiert sind. Die Chance, im Zuge der Sozialhilfe-Novellierung diesen verschärften Bedingungen mit höheren sozialen Sicherungsstandards (siehe oben) zu begegnen und die OÖ Sozialhilfe als Sicherungsnetz tragfähiger und engmaschiger zu gestalten, wurde vertan. Das wird dennoch weiterhin Aufgabe bleiben. Es ist unbedingt erforderlich, deutliche Leistungserhöhungen für alle sozialhilfebeziehenden Personengruppen sowie eine Ausweitung des bezugsberechtigten Personenkreises rasch auf den Weg zu bringen. Die Beträge, die das Land Oberösterreich und die Sozialhilfeverbände/Magistrate für Sozialhilfe aufwenden, sind in den letzten Jahren in Summe kontinuierlich gesunken. Es besteht weiterhin das dringende Erfordernis, die Sozialhilfeleistungen deutlich zu erhöhen. Ziel muss sein, was als Aufgabe im Oö. SOHAG formuliert ist: „Aufgabe der Sozialhilfe ist die Ermöglichung und Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens sowie die damit verbundene dauerhafte Einbeziehung in die Gesellschaft für jene, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen.“ Die Novellierung der OÖ. Sozialhilfe ist - gesamt betrachtet - leider eine vergebene Chance auf diesem Weg.

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