25 Apr
2023

Sozialhilfe-
Grundsatzgesetz

Höchstgericht greift erneut ein

Das 2019 durch die türkis-blaue Bundesregierung erarbeitete Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (SH-GG) hat von Beginn an viel Kritik auf sich gezogen. Es wurden damit nicht nur Sozialleistungen teilweise harmonisiert, sondern leider vielfach reduziert, manchmal auch verwehrt, z.B. schutzberechtigten Personen. Ein Beitrag von Norbert Krammer, VertretungsNetz

Neue Zulagen hingegen gab es nur selten (z.B. Behindertenbonus). Die Ausführungsgesetze der Länder tragen genauso verschiedene Namen wie die Leistungen: Sozialhilfe, Mindestsicherung, Sozialunterstützung. Vergleich und Orientierung wird so erschwert. Bereits vor Inkrafttreten des Grundsatzgesetzes wurden einzelne Bestimmungen vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) aufgehoben. Die erste größere Novelle im Vorjahr brachte weitere Änderungen. Probleme und Kritik bleiben.

Gedeckelte Wohnkosten und Sachleistungszwang

Das SH-GG legt für die finanzielle Hilfe grundsätzlich Höchstgrenzen mittels Richtsätzen fest, die sich in Unterstützung des allgemeinen Lebensbedarfs (60%) und Wohnbedarf (40%) aufteilen. Darüberhinausgehende Zahlungen werden ebenfalls genau geregelt und in der Höhe begrenzt. Zur Abdeckung des Wohnbedarfs trotz höherer Kosten – dies ist insbesondere in größeren Städten notwendig – kann der Wohnkostenanteil, um besondere Härtefälle zu vermeiden, bis auf 70 % des ASVG-Richtsatzes erhöht werden. Als zusätzliche Hürde wurde festgelegt, dass die Abdeckung des erhöhten Wohnbedarfs ausschließlich als Sachleistung - hier wird der Teilbetrag dann direkt an die Vermieter*innen überwiesen - gewährt werden kann. Damit hat sich ein Mix aus Geldleistungen (Lebensbedarf, Wohngrundbetrag) und Sachleistungen (für erhöhte Wohnkosten) ergeben. Für die Leistungsbezieher*innen ist das kompliziert und kaum nachvollziehbar; für die Verwaltung ein zusätzlicher administrativer Aufwand und eine Quelle von Berechnungsfehlern; für die Vermieter*innen verwirrend, da zwei Zahlungseingänge zu kontrollieren sind – vom Mieter/der Mieterin und vom Sozialamt.

Sozialberatungsstellen weisen auf die diskriminierende Wirkung der direkten, aber nachträglichen Anweisung von Sozialhilfezahlungen an die Vermieter*in hin. Viele private Vermieter*innen werden dadurch verunsichert. Auch ein grundsätzliches Entgegenkommen bezüglich geteilter und oft verspäteter Bezahlung wird vorausgesetzt. In Summe erschwert es der Sachleistungszwang armutsbetroffener Menschen die Wohnkosten auf Dauer abzusichern.

Die Sonderzahlung aus Arbeitseinkommen oder Pension ist laut SH-GG als Einkommen anzurechnen und reduziert die Sozialhilfe. In den Monaten mit Bezug von Urlaubs- oder Weihnachtsgeld (13. und 14. Gehalt) kann dies sogar zur Einstellung der gesamten Sozialhilfe-Leistung führen, wie dies z.B. in Salzburg von der Verwaltung vollzogen werden musste. Andere Bundesländer verteilten den Abzug auf das ganze Jahr. Konservative Politiker*innen verteidigen diesen undurchsichtigen Fleckerlteppich im Vollzug sogar als „Berücksichtigung regionalspezifischer Bedarfe im Sinn des Föderalismus“.

VfGH beseitigt Sachleistungszwang

Der Verfassungsgerichtshof prüfte nach eingebrachten Beschwerden einige Bestimmungen des SH-GG und auch des Wiener Mindestsicherungsgesetzes. Im SH-GG werden Höchstgrenzen auch bei Unterstützung zur Begleichung des Wohnbedarfes festgelegt, die - um besondere Härtefälle zu vermeiden - durch erhöhte Wohnunterstützung abgedeckt werden können. Aber ausschließlich als Sachleistung. Diese Einengung auf Sachleistungen sah der VfGH als sachlich nicht gerechtfertigt und – da dies dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht – als verfassungswidrig. Die Bestimmung wurde daher aufgehoben.

Grundsätzlich spricht sich der VfGH nicht gegen das Ziel des Sachleistungsgebots aus, die – so das Höchstgericht – die Verwendung der Leistung für jenen Zweck sicherstellen soll, für den sie gewährt wurde. Die höheren Mietkosten bedeuten einen höheren Bedarf an Leistungen und sind daher ein sachlicher Grund für Zusatzleistungen durch Geld, so der VfGH. Ein Einschränken auf Sachleistungen ist daher unsachlich und als verfassungswidrig aufzuheben.

Da das Höchstgericht das Grundsatzgesetz korrigierte, sind die Ausführungsgesetze der Bundesländer entsprechend anzupassen. Der Sachleistungszwang kann auch im Vollzug durch die Behörden nicht mehr weiter angewandt werden.

Neue Bescheide mit Geldleistung bei Wohnbedarf

Das Erkenntnis des VfGH wirkt sich in allen Bundesländern und für alle Bezieher*innen von Sozialhilfe/Sozialunterstützung/Mindestsicherung aus. Der Sachleistungsbezug ist ganz im Sinn des Höchstgerichts genau abzuwägen und zu begründen. Nicht mehr der*die Antragsteller*in muss begründen, warum eine Sachleistung (Splitten der Leistung in Geldleistung an Antragsteller*in und Überweisung an Vermieter*in als Sachleistung) einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltung widerspricht, sondern die Behörde muss die Einhaltung des Prinzips argumentieren. Der VfGH hat hier einen Maßstab zugunsten einer Geldleistung bei Wohnaufwand formuliert.

Schutz für Sonderzahlungen erforderlich

Der Bundesgesetzgeber hat 2022 in der letzten Novelle zum SH-GG die Länder ermächtigt, Sonderzahlungen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit oder aus Pensionen von der Anrechnung auszunehmen. Einige Bundesländer haben diese Änderung noch im Vorjahr umgesetzt und damit garantiert, dass armutsbetroffene Menschen die Sonderzahlungen erhalten. Damit konnten kleine Sonderbedarfe abgedeckt, der Weg aus verfestigter Armut unterstützt und kleine Rücklagen gebildet werden. Ein Schonvermögen, dass der Gesetzgeber einräumt, hat nur einen Sinn, wenn dieses auch angespart werden kann. Während dies nun beispielsweise in Salzburg durch die Änderung des Sozialunterstützungsgesetzes möglich ist, beharrt Oberösterreich weiter auf der Anrechnung und verweigert eine Änderung im oö. Sozialhilfe-Ausführungsgesetz. Dieses Verständnis von Föderalismus ist nicht nachvollziehbar. Die Landesgrenzen entscheiden, wie ein Bundesgesetz ausgelegt und angewendet wird. So können Antragsteller*innen aus Straßwalchen/Salzburg nahe der Landesgrenze die Sonderzahlung aus der Pension selbst verwalten, während ein paar Kilometer weiter in Lengau in Oberösterreich der Gesamtbetrag die Unterstützung reduziert. Man verhindert dadurch, dass armutsbetroffene Menschen kleine Anschaffungen eigenverantwortlich finanzieren und kleine Sparbeträge bilden.
Die Kann-Bestimmung (Ermächtigung) muss dringend in eine Verpflichtung der Länder zur Nicht-Anrechnung umgewandelt werden.

Weitere Reformen, Weiterentwicklung oder Neukodifizierung?

Der Beschlussfassung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes im Jahr 2019 war eine jahrelange, zum Teil heftige politische Debatte vorangegangen. Kostenexplosionen wurden heraufbeschworen. Tatsächlich sind die Ausgaben für die Sozialhilfe moderat, der Anteil an allen Sozialausgaben liegt bei unter 2 %. Obwohl schon seit den 1920er Jahren möglich, einigten sich die politischen Akteur*innen nie auf eine gemeinsame bundesweite Regelung. Erst die türkis-blaue Koalition nutzte die Möglichkeit für eine restriktive Bundesgesetzgebung. Diese muss dringend korrigiert werden – von Grund auf.

Der Verfassungsgerichtshof weist in seinem Erkenntnis deutlich auf die Verpflichtung der Politik hin: „Der Gesetzgeber muss aber sicherstellen, dass das von ihm eingerichtete System der Sozialhilfe seinen eigentlichen Zweck – die Vermeidung und Bekämpfung sozialer Notlagen bei hilfsbedürftigen Personen – erfüllt.“

Mit dem aktuellen SH-GG darf das bezweifelt werden!

Dieser Artikel ist im Rundbrief 3/23 (Mai/Juni) erschienen.

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